UTOPIA. Keep on Moving in der Akademie der Künste

Text für art-in-berlin.de (20.5.2024)

ine Ausstellung, die in den Utopien von gestern nach Möglichkeiten für morgen sucht.

Zur Utopie geht’s nach unten, ins Untergeschoss. Das verrät ein großer orangefarbener Pfeil auf der Aufzugtür im Foyer der Akademie der Künste am Pariser Platz. Als sich der Aufzug in Bewegung setzt, fragt eine Stimme aus dem Off: „Sie hätten aussteigen können, warum haben sie es nicht getan? Es wäre besser, wenn Sie aussteigen würden.“ Eine Frage, die sich auf den Fahrstuhl, aber auch auf vieles andere beziehen lässt …
Wenige Sekunden später ist man im Untergeschoss angekommen, im Stockwerk der Toiletten. Und auch hier: Männliche und weibliche Stimmen, die zu sanfter Geigenmusik aus dem Off zu uns sprechen. Es sind die KI-generierten Stimmen von Hannah Arendt, Erich Kästner, Gret Palucca und weiteren Weggefährt:innen, die sich über die ihnen von Theodor Adorno gestellte Überlegung austauschen, was zu tun sei, wenn die Worte unbrauchbar werden. Eine Begegnung mit der Crème de la Crème des vergangenen Jahrhunderts auf dem Männer- und dem Frauenklo.

Die Klanginstallation „Fahrstuhlmusik“ von Kathrin Röggla (*1971 in Salzburg) und Leopold von Verschuer (*1961 in Brüssel) lässt die großen Denker:innen und Macher:innen des 20. Jahrhunderts über das Verhältnis der Vergangenheit zur Gegenwart und die Aussichten für unsere Zukunft sinnieren. Dabei kommt der Bewegung zwischen den Stockwerken, dem Hoch- und Runterfahren eine besondere Bedeutung zu, die die Überlegungen zum Verhältnis zwischen Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem immersiv unterstreicht. Leider fällt die Prognose nicht allzu optimistisch aus: „Ihre Zukunft sieht arm aus, nein ärmer, sie sieht genaugenommen katastrophal aus.“
Also keine Utopie in Sicht, nur eine Dystopie, die sich auf dem Rückweg nach oben konkretisiert: „Die Gefahr eines AfD-Ministerpräsidenten ist real“.

Eine solche Aussicht als Teil eines großen Potpourris düsterer Zukunftsprognosen macht die im Zentrum des Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramms „Utopia – Keep on Moving“ stehenden Fragen virulent: Welche Konzepte von Utopien gibt es, welche Rolle können sie in unserer Gesellschaft spielen und wie können sie weitergedacht werden?
Führt der Weg zu einer besseren Welt über den Blick auf sich selbst oder kann die Zukunft (ob besser oder schlechter) in den zeitüberdauernden Abfällen der Menschheit liegen? Enrique Ramírez (1979 in Santiago de Chile) folgt in seiner Videoarbeit „Un hombre que camina“ (A Walking Man) (2012-2014) einem Mann auf seiner spirituellen Reise. Und Ingo Dunnebier (1959 Jena) präsentiert in der Diashow „Nature Restart“ (2023) die Vision einer Natur, die mit Hilfe von Plastikmüll und Elektroschrott wiedergeboren wird.
In Gabriela Golders (*1971 in Buenos Aires) Video „Conversation Piece“ (2012) beobachten wir eine Großmutter und ihre beiden Enkelkinder bei einer Marx-Lesestunde, in der zentrale Begriffe wie „Kommunismus“, „Proletariat“ und „Bourgeoisie“ erklärt werden. Während die uneingelösten Versprechen der Moderne in „Fahrstuhlmusik“ uneingelöst bleiben, nehmen die beiden Mädchen im Grundschulalter die Rolle der Hoffnungsträgerinnen ein.

Die kleine, aber dichte Ausstellung gibt keine Antworten – wie sollte sie auch angesichts der Komplexität des Themas – aber sie gibt jede Menge Denkanstöße. Besonders eindrucksvoll ist Kapwani Kiwangas (*1978 Hamilton, Kanada) Videoarbeit, die im Erdgeschoss zu sehen ist: Hingebungsvoll säubert sie in „Vumbi“ (2012) die mit rotem Staub bedeckten Blätter eines Baumes am Straßenrand im ländlichen Tansania, der Heimat ihrer Familie. Alles Grün der Bäume, Sträucher und Gräser ist in intensives Rot getaucht, jedes vorbeifahrende Auto wirbelt neuen Staub auf.
Die Tätigkeit hat etwas Liebevolles, Hingebungsvolles und gleichzeitig etwas sehr Mühsames. Und ein Ende ist nicht in Sicht.
Doch gerade in ihrer liebevollen Beharrlichkeit, in ihrer entschlossenen Hingabe liegt die Kraft. Denn genau das brauchen wir, denen Arendt und Co. eine katastrophale Zukunft vorhergesagen: beharrliche Liebe, liebevolle Beharrlichkeit, hingebungsvolle Entschlossenheit und entschlossene Hingabe. Vielleicht kommen wir dann der – einer – Utopie einen Schritt näher.

Unter dem Titel „Schritt für Schritt in Richtung Zukunft. UTOPIA – Keep on Moving“ geben wir einen Überblick über das umfangreiche Veranstaltungsprogramm.

Akademie der Künste
Ausstellung und Veranstaltungen
19.4. – 26.5.
Hanseatenweg 10 & Pariser Platz 4
Berlin
www.adk.de

Hinterlasse einen Kommentar