Text für gallerytalk.net (17.9.2025)
Unwirklich, fantastisch wirken die Aufnahmen in Arhun Aksakals Videoarbeit „Land Before Time“: Da sind die riesigen schneebedeckten Steinköpfe, über die sich die Kamera langsam hinwegbewegt, begleitet von einer düsteren, Spannung erzeugenden Musik. Da ist ein kahler Berg, der nicht so recht zu dem nebelverhangenen, herbstlich verfärbten Wald passen will, neben dem er sich erstreckt. Oder die akkurat angeordneten weißen Häuser inmitten eines kargen, von Gebirge umgebenen Tals. Wie Kulissen eines Science-Fiction-Films. Dabei ist hier nichts fiktiv, alles ist real. So real, dass man stellenweise den Blick abwenden möchte.
Denn man will ihn eigentlich lieber nicht sehen, den vertrockneten Boden, übersät mit haufenweise Fischkadavern. Oder die Maschinen, die sich in die Erde graben und riesige Flächen zerfurchten Bodens hinterlassen. Aber die Aufnahmen fesseln. In der Ästhetik des Anthropozäns verbirgt sich hinter dem vermeintlich Erhabenen nicht mehr die romantische, sondern die versehrte Natur.
Die Arbeit „Land Before Time“, die am temporären Standort der Galerie Ebensperger in der Kapelle des Luxoom Lab zu sehen ist, thematisiert allerdings nicht nur das Zeitalter des Menschen: Der 19-minütige Film verbindet eindrucksvolle Bilder verschiedener Orte zu einem visuellen Essay, in dem Aksakal seine künstlerische Auseinandersetzung mit Zerstörung und natürlichem Verfall im Kontext von Geschichte, Stadtgeografie und Psychologie fortsetzt.
Die in Zeitlupe abgespielten Drohnenaufnahmen entstanden in Deutschland und in der Türkei, den beiden Ländern, die sich in Aksakals Biografie miteinander verbinden. Sie verdeutlichen den Einfluss vergangener und gegenwärtiger Zivilisationen auf Landschaften und Erinnerung. Dabei kommt das früheste Beispiel in diesem filmischen Essay eben nicht aus dem Zeitalter des Anthropozäns, sondern aus vorchristlicher Zeit.
Die schneebedeckten Steinköpfe sind Teil eines monumentalen Grabheiligtums, das der späthellenistische König Antiochos I. als Zentrum einer neuen Religion errichten ließ, in der sich persische und griechische Mythologie miteinander verbinden sollten. Gelegen auf dem Gipfel des Berges Nemrut Dağ im Südosten der Türkei ist das sogenannte Hierothesion ein einzigartiges Zeugnis der Zivilisation des Königreichs Kommagene und der Selbstvergöttlichung seines Herrschers, der sich selbst den Namenszusatz Theos, also Gott, gab. Die Grabstätte, die 1987 in die Unesco-Liste des Welterbes aufgenommen wurde, ist heute durch Wettereinflüsse, Erdbeben und Tourismus bedroht.
Während Erinnerung hier zwar gefährdet ist, jedoch anhält, stehen die Aufnahmen der überfluteten Ruinen der antiken Stadt Hasankeyf in der Türkei für das gewaltvolle Auslöschen kultureller Tradition und Erinnerung sowie für das Streben nach Macht und Vorherrschaft: 2020 ließ der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan den rund 12.000 Jahre alten, vorwiegend von Kurd*innen bewohnten Ort im Zuge seines Südostanatolien-Projekts fluten. Die Menschen wurden nach Neu-Hasankeyf zwangsumgesiedelt – Bilder der Retortenstadt sind ebenfalls Teil des Films. Bedeutende Ausgrabungsstätten und Kulturgüter verschwanden in dem Stausee, der sich nachhaltig auf die Wasserversorgung in den Nachbarländern Syrien und Irak auswirkt.
Erzählungen davon, wie der Mensch seine Umwelt nach seinen Vorstellungen von Macht und seinem Wunsch nach Reichtum formt, verbergen sich in „Land Before Time“ hinter vielen der Aufnahmen: So zum Beispiel auch im Falle des vermeintlichen Berges, der in Wirklichkeit eine Salzhalde ist. Es handelt sich um ein Nebenprodukt des Kalibergbaus, der betrieben wird, um Kalisulfat zu gewinnen, ein Grundstoff für die Düngemittelindustrie.
Der sogenannte Monte Kali, 520 Meter über Normalhöhennull bei Heringen in Hessen – nur einer seiner Art, entstand durch das Aufschütten des Abbaunebenprodukts Steinsalz. Der täglich in enormer Menge anfallende Abraum lässt nicht nur den Berg kontinuierlich wachsen, sondern führt auch zu einer Versalzung des Bodens und des Flusses Werra. Der imposante An- und Ausblick ließ den Monte Kali indes zu einer Touristenattraktion werden.
Aksakal verbindet die Bilder all dieser Orte, wobei er zwischen Nah- und Weitaufnahme wechselt. Er verzichtet auf einen sprachlichen Kommentar und ergänzt die Aufnahmen durch eine schwere, stellenweise düstere Musik: Die von dem Cellisten Nicolas Altstaedt gespielte Sonate „Four Cities: Ankara“ des türkischen Pianisten und Komponisten Fazıl Say unterstreicht die Spannung zwischen der sublimen Schönheit der Natur und der industriellen Zerstörung.
Die Aufnahmen des Dabke-Tänzers Mustafa Izol nehmen in der Dramaturgie des Films eine besondere Stellung ein. Sein in den Hevsel-Gärten performter traditionell kurdischer Tanz symbolisiert Ehrfurcht vor dem Boden und dem Wasser und steht somit im starken Gegensatz zu den gewaltvollen Eingriffen politischer Machthaber und profitorientierter Unternehmen. Die landwirtschaftlich und kulturell bedeutenden Hevsel-Gärten sind durch die Urbanisierung und Eingriffe in die Landschaft stark gefährdet.
Izols Tanz erinnert außerdem an die Bedeutung immateriellen Kulturguts bei der gemeinschaftlichen Erinnerung und der Herausbildung individueller und gesellschaftlicher Resilienz. Sein Part ruft die 2023 erfolgte Aufnahme des palästinensischen Tanzes Dabke in die Unesco-Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit in Erinnerung.
Wie Momente des Protests fungieren auch die Aufnahmen junger Männer, die eine Skulptur von Ulrich Rückriem in der Zeche Zollverein in Essen als Hindernisparcours nutzen. Die Idee des Parcours, sich in einem urbanen Raum auf eine andere Weise zu bewegen als jene, die von Architektur und Kultur vorgegeben ist, wird hier zu einer Anspielung auf Möglichkeiten des Widerstands gegen die Einflussnahme durch Architektur und die politisch motivierte Gestaltung des öffentlichen Raums. Im Kontext der Bilder großflächiger, gewaltvoller Eingriffe in die Natur, die machtpolitischen und profitorientierten Zielen dienen, betonen diese Aufnahmen die Bedeutung des Individuums als Akteur*in des Widerstands.
Indem Arhun Aksakal in „Land Before Time” verschiedene Zeitalter miteinander verbindet und die Narration zwischen den Polen Schönheit und Zerstörung, Natur und Industrie, Machthaber und Gesellschaft, Gesellschaft und Individuum wechseln lässt, veranschaulicht er andauernde Auseinandersetzung mit zivilisatorischen und geoökologischen Umwälzungen, die er hier in fesselnde Bilder übersetzt.
Die gleichnamige Ausstellung „Land Before Time” bei Ebensperger wurde von Leonie Rösler und Marlene Sichelschmidt kuratiert. Es ist die erste Einzelausstellung des 1995 geborenen Aksakal, der unter anderem an der Städelschule Frankfurt bei Willem de Rooij und Cyprien Gaillard studiert hat. Die ebenfalls gezeigten Werke „Windows”, „Cuts or Cracks“ und „Relief IV“ geben einen weiteren Einblick in sein Schaffen, das sich zwischen Video, Film, Fotografie, Skulptur und Performance bewegt.
WANN: Die Ausstellung „Land Before Time“ von Arhun Aksakal läuft bis Samstag, den 4. Oktober.
WO: Ebensperger Kapelle, Waldstraße 52, Hinterhof, 10551 Berlin.