Text für Monopol Magazin (24.9.2025)
Jordan Strafer zeigt bei Fluentum in Berlin ihre Filmreihe „Loophole“. Darin verwandelt sie den Vergewaltigungsprozess eines Kennedy-Erben von 1991 in ein groteskes Spektakel – und entlarvt die Absurdität des US-Rechtssystems
Das System ist misogyn, korrupt, klassistisch, kurzum: hinfällig. Gemeint ist das US-Rechtswesen – Parallelen zu anderen Strukturen, die die Gesellschaft prägen, sind natürlich nicht rein zufällig.
Diese Botschaft steht im Zentrum der Filmreihe „Loophole“ der US-amerikanischen Künstlerin Jordan Strafer, deren erste institutionelle Einzelausstellung in Deutschland gerade bei Fluentum in Berlin-Dahlem zu sehen ist. Anhand zweier Video-Arbeiten sowie einem Werk in progress veranschaulicht die Schau „Dissonance“, wie Strafer Mechanismen von Macht und Repräsentation offenlegt, die soziale Realitäten formen und die öffentliche Meinung beeinflussen.
„Loophole“ besteht derzeit noch (hierzu später mehr) aus zwei Kapiteln, die jeweils in der Länge einer durchschnittlichen TV-Serien-Folge konzipiert wurden und in der Ausstellung als zusammenhängender Film zu sehen sind. Die Episoden basieren inhaltlich auf einem Vergewaltigungsprozess, der 1991 ein großes Medienecho erzeugte: William Kennedy Smith, Neffe des Senators Edward Kennedy, war damals angeklagt, eine 29-jährige Frau auf dem Anwesen der Familie missbraucht zu haben. Nach einem viel beachteten Verfahren sprach ihn das Geschworenengericht letztlich frei. Wobei ihm die kostspielige, „perfekt geölte Verteidigungsmaschinerie“, so formulierte es die „Taz“, und das Zutun der Medien sehr geholfen haben dürften.
Die Macht der Medienbilder im Gerichtssaal
Strafer fiktionalisiert die realen Geschehnisse und vermischt vermeintlich dokumentarische Aufnahmen mit der Ästhetik von Film und Fernsehen. Dabei greift sie insbesondere auf die Bildkulturen aus Erotikthrillern der 1980er- und 90er-Jahre zurück.
Die Selbstinszenierung des Angeklagten – für sein Plädoyer tritt er als singender 60er-Jahre-Rat-Pack-Entertainer auf – steht in starkem Kontrast zu den Darstellungen des Opfers Holly und der Zeugin Sarah. Während Sarah in einem manipulativen Kreuzverhör von Verteidiger Ray vorgeführt wird, wird das Gesicht der immer wieder in Tränen ausbrechenden Frau stellenweise durch Unschärfen verdeckt; allerdings so notdürftig, dass sie weiterhin zu erkennen ist. Auch im realen Fall wurde bei der Übertragung des Verfahrens das Gesicht des Opfers mit einem solchen grauen Fleck „geschützt“, was jedoch mehr dem Protokoll diente als ihrer tatsächlichen Anonymität – sowohl ihr Name als auch ihre Privatsphäre waren längst den Schlagzeilen preisgegeben.
Strafer spielt hier auf die Rolle der Presse an, die im Wesentlichen bestimmt, welches Bild sich die Öffentlichkeit – und in den USA letztlich auch die Geschworenen – von einem Opfer, einem Angeklagten und einer Zeugin machen. Dass dies unter Umständen nicht zu Gunsten der vermeintlich Geschädigten ausfällt, lässt sich immer wieder beobachten, insbesondere bei Verfahren zu sexueller Gewalt. Es sei hier beispielsweise an den Fall des Ex-Politikers Dominique Strauss-Kahn und den Umgang mit der Hotelangestellten Nafissatou Diallo erinnert.
Komplizenschaft und Klassenprivilegien
Im Verlauf des knapp 25-minütigen Films „Loophole“ entfaltet sich die Affäre zwischen dem Verteidiger Ray und der Geschworenen Lisa. Ihre Beziehung wird zum Schlupfloch, durch das Unrecht in das Verfahren sickert. Die Liaison wird zur Metapher dafür, wie das US-Rechtssystem durch Begierde und Komplizenschaft unterwandert werden kann.
Dies arbeitet auch der zweite Teil der Filmreihe, „Decadence“, heraus. Er spielt im Anschluss an den gewonnenen Prozess auf dem Anwesen der Kennedys und verbindet Rückblenden auf die mutmaßliche Vergewaltigung mit Momenten der ausgelassenen Feier zu Ehren des Freigesprochenen. Ein üppiges Büfett, Champagner und Koks, Perlenketten und maßgeschneiderte Anzüge. Man kann sich gut vorstellen, dass William Kennedy Smith tatsächlich in einer solchen Gesellschaft seine juristische Absolution und die Unantastbarkeit der Reichen und Privilegierten feierte.
„Loophole“ ist in der ersten Etage von Fluentum zu sehen, im Erdgeschoss werden die Besuchenden von der Installation „Dissonance Set“ (2025) empfangen. Das ortsspezifische Arrangement ist einem Talkshow-Studio der 1990er-Jahre nachempfunden: Mehrere Sitzreihen für das Publikum sind auf eine Bühne ausgerichtet, auf der zwei Sessel für die Gäste bereitstehen.
Trauma als Spektakel
Zur Eröffnung der Ausstellung während der Berlin Art Week waren die Plätze mit Statistinnen und Statisten besetzt. An diesem Abend konnten die Besuchenden live mitverfolgen, wie ein Teil der dritten Episode von Strafers Filmreihe gedreht wurde. Der vormalige Kennedy-Verteidiger, gespielt vom New Yorker Schauspieler Jim Fletcher, trat nun als amerikanischer Soldat des Zweiten Weltkriegs auf, der in Manier eines Selbsthilfe-Gurus das Studiopublikum, und nach Belieben auch die Vernissage-Crowd, auf eine meditative Reise in die Kindheit entführte.
Die Kostüme der Komparsen spielten auf die 90er-Jahre an und sollten an die „Oprah Winfrey Show“ erinnern. Diese erfolgreichste Talk-Sendung in der Geschichte des US-Fernsehens machte einerseits ihren Fans Psychologie und Selbsthilfe zugänglich. Andererseits wurden hier Gerichtsprozesse, Traumata und private Konflikte in kollektive, umsatzstarke Spektakel verwandelt.
Fletchers Kostüm wiederum schließt an den Ort der Ausstellung an: Das Gebäude, in dem sich heute das private Ausstellungshaus Fluentum befindet, wurde zwischen 1936 und 1938 als Verwaltungszentrale der Reichsluftwaffe errichtet und war nach dem Krieg ein wichtiger Standort der US-amerikanischen Streitkräfte in Berlin.
Wenn der Filmdreh zur Performance wird
Diese beiden Zeiten vermischten sich am Abend der Eröffnung zu einem unterhaltsamen Ereignis. Der Filmdreh wurde irgendwie auch zu einer Performance – und wie oft kann man schon sagen, bei der Entstehung eines Kunstwerks live dabei gewesen zu sein?
Zu welcher Erzählung sich die Aufnahmen sowie das Setting, das als Kulisse weiterhin Teil der Schau ist, letztlich fügen werden, ist ab dem 24. Oktober zu sehen. Dann wird auch der dritte, brandneue Teil von Strafers Serie bei Fluentum präsentiert. Und die bis dahin leere Bühne wird ihre „surreale, transhistorische Funktion als Tribunal im Jenseits“ zu erkennen geben, wie es im Text zur Schau heißt. Man darf gespannt sein.