Den Beginn des Weges markieren die sechs Aquarelle. Beinahe transparent, flüchtig, als könne sie nicht einmal das Papier als Bildträger an sich binden, sind sie ebenso ephemer, wie das Gefühl, welches uns beschleicht, wenn ein Sinneseindruck der Anblick eines bestimmten Gegenstands, die Wahrnehmung eines Geräuschs oder eines Geruchs eine schlummernde Erinnerung weckt.
Zur Inszenierung der Erzählung beschränkt sich Sebastian Winkler auf die Verwendung von Requisiten. Hierdurch bleibt der Handlungsstrang, den die Bilder ergeben, unbestimmt und es entstehen zahlreiche Anknüpfungspunkte für die individuellen Gedächtnisspuren des Betrachters, der dazu aufgefordert ist, die Geschichte zu seiner eigenen zu machen.
In starkem Kontrast zu den Aquarellen stehen die Arbeiten leise sinkt das tragwerk nieder und Dauerdosen, strenge Reihe. Die Dosen weisen Gebrauchsspuren auf, der Staub auf ihnen lässt darauf schließen, dass sie seit langem nicht mehr verwendet wurden. Auch die Kittelschürze, in typischer 1970er Jahre-Mode ist offensichtlich ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit. Die beiden Arbeiten veranschaulichen somit den Schritt der Erinnerungen aus dem Bereich des Transitorischen in den der konkreten Vorstellung.
Zugleich zeigen die Arbeiten eine weitere Funktion unseres Gedächtnisses auf: Um zu einem Fundus für unsere Wahrnehmungen werden zu können, aus dem sich unsere Phantasie bedienen kann und aus welchem sich letztlich unser (Bewusst-)Sein konstituiert, muss es notwendigerweise die Funktion eines Speichers besitzen. Wir geben unsere Sinneseindrücke in die Obhut des Vergessens, wobei es sich nicht um ein zersetzendes, sondern um ein beschützendes Vergessen handelt. Wie die Einmachdosen etwas zu Konservierendes beinhalten, verwahrt das Gedächtnis unsere Erinnerungen als sorgsam verstaute Reserven auf.
Gleichsam dem Arbeitskittel, der abends nach verrichteter Arbeit abgestreift und weggelegt wird, geben wir einen großen Teil der wahrgenommenen Bilder in einen „nächtlichen Schacht“, in dem sie isoliert von der Zeit und der Außenwelt verbleiben, bis sie durch Zufall geweckt und aus dem Schacht an die Oberfläche unseres Bewusstseins gebracht werden.
Diese bewahrende Funktion unseres Gedächtnisses wird des Weiteren durch die Verwendung des Drahtes veranschaulicht. Seine zurückhaltenden Linien symbolisieren die Architektur unseres Gedächtnisses. Im Zusammenhang mit den Dosen nehmen sie eine tragende Funktion ein und ermöglichen den Blick auf die Dosen aus einer vergangenen Perspektive: die Höhe des Brettes entspricht der Höhe des Tisches, auf den die Dosen einst gereiht wurden. In der Arbeit leise sinkt das tragwerk nieder funktionieren die Drähte als etwas Einschließendes, als etwas von der unmittelbaren Umgebung Trennendes. Die Härte und Kälte des Materials stehen im Gegensatz zu der Holzrahmung der Aquarelle und sind als der Schritt von einer ersten schwachen, hin zu einer konkreten Erinnerung lesbar.
Die Dosen, in ihrer Funktion als Aufbewahrungsbehältnis, und die Kittelschürze mit ihrer sich andeutenden Körperlichkeit, sind Sinnbilder der Welt des Materiellen, des Körpers, der gleichsam der „Behälter“ ist, in dem sich das Gedächtnis, die Welt der reinen Dauer und des Ichs befindet. Solange wir uns ihrer nicht besinnen, wissen wir nicht, wieviele solcher Bilder der Vergangenheit in uns ruhen. Erst durch ihr Heraustreten aus dem Vergessen werden sie zu unseren Erinnerungen, gehen sie in unseren Besitz über, da wir sie als bereits „gehabte Anschauungen“ identifizieren.
Der Künstler richtet sich mit seiner Arbeit an die Vorstellung des Betrachters, der an die einzelnen Fragmente anknüpfen kann. Hierdurch wird zum einen die Vielfalt der bestehenden Welten veranschaulicht, welche wir uns durch unsere Erinnerungen konstituieren, zum anderen wird offensichtlich, wie sich diese individuellen Welten ohne unser Wissen mit denen anderer Menschen kreuzen und wieder auseinander laufen, um an einem anderen Ort, zu einem anderen Zeitpunkt wieder zusammen zu finden.