Hannah Gieseler // spiritus sylvestre // 12.02.-26.03.2016 // Schwarz Contemporary

Das kurze Leben einer Champagnerblase – ein Gespräch mit Hannah Gieseler

Hannah, Deine Arbeiten greifen oft das Spiel zwischen dem Modellhaften und der Realität auf, wobei sich Größenverhältnisse verschieben und es nicht selten auf den zweiten, aufmerksamen Blick ankommt, um die Dinge zu identifizieren. Woher kommt das Interesse an der Auseinandersetzung mit Modellen?

Modelle bieten die Möglichkeit, etwas zu zeigen, das in der Realität nicht ohne weiteres sichtbar ist, gleichzeitig lassen sich mit ihnen komplexe Situationen vereinfachen und es findet eine Art Abstraktion statt. Größenverhältnisse und Maßstäbe können verschoben werden, wodurch ein Perspektivwechsel entsteht. Dinge, die uns alltäglich umgeben und denen wir keine besondere Aufmerksamkeit schenken, erlangen durch eine extreme Größenverschiebung den Status von etwas Besonderem. Es findet gewissermaßen eine Entfremdung des Blickes statt. Das Ausgangsobjekt wird außerdem seinem gewöhnlichen Kontext entnommen und ist unter Umständen nicht mehr auf diesen zurückzuführen. Das Modell lässt also nicht immer Rückschlüsse auf die Realität des Ausgangsobjekts zu. Dieses Spiel mit Realität und Abstrahierung interessiert mich sehr.

Du sprichst von einem „Ausgangsobjekt“ und seinem Kontext – wie entwickelst Du Deine Arbeiten?

Der Arbeitsprozess beginnt meistens mit einem konkreten Bild oder Objekt, ausgehend hiervon arbeite ich mich genauer in das jeweilige Themengebiet ein. Die Recherche beansprucht Zeit; erst nach und nach kristallisiert sich dann eine konkrete Idee heraus, an der gefeilt wird. Diese Phase ist sehr stark von Entscheidungen und aussortieren geprägt. Das lässt sich vielleicht mit der Arbeit eines Bildhauers vergleichen, der mit einem Bild im Kopf beginnt den rohen Stein zu behauen. Mein Material, das in eine Form gebracht werden muss, sind die gesammelten Informationen. Das Ergebnis dieses Prozesses, also die Ausstellung bzw. die einzelnen Arbeiten könnte man als die abstrakte Essenz der Recherche bezeichnen. Im Fall von spiritus sylvestre war die Abbildung einer Champagnerpyramide ausschlaggebend. Ausgehend hiervon habe ich ein Archiv von Abbildungen aus dem Internet zusammengestellt. So entstand einerseits die Idee, selbst eine Pyramide zu bauen und andererseits die Faszination für die Champagnerblase.

Was interessiert Dich an der Pyramide und an der Champagnerblase?

Zweierlei: Die Pyramide ist für mich ein sehr ästhetisches Objekt, ihre Form spricht mich an. Ich komme in meinen Arbeiten immer wieder zu geometrischen Formen zurück, so auch hier in dieser Ausstellung: die Pyramide, der Kreis, die Kugel. Zweitens geht es mir um die Erwartungen, die mit diesem Objekt verbunden sind. Eine Champagnerpyramide ist ja nichts Alltägliches, sondern eine Attraktion, das Highlight eines besonderen Anlasses, mit dem jede Menge Erwartungen und Vorfreuden verbunden sind. Ihre Form entspricht diesen Erwartungen: beides spitzt sich zu, um dann an einem gewissen Punkt Glas für Glas wieder abgetragen zu werden. So ist es ja beispielsweise auch an Silvester.

In der Ausstellung wird die Pyramide – mit all den damit verbundenen Erwartungen – allerdings nicht abgetragen. Sie bleibt in Ihrer Form bestehen.

Daher der Titel der Ausstellung?

Ja und nein. Diese Assoziation ist natürlich gewollt, aber eigentlich spielt der Titel auf die ursprüngliche Bezeichnung von Kohlenstoffdioxid an. Im 17. Jahrhundert benannte der Chemiker Jan Baptista van Helmont die bei der Verbrennung von Holzkohle freiwerdende Substanz ‚spiritus sylvestre’, was so viel wie ‚wilder Geist’ bedeutet.

Aber zurück zur Pyramide: ebenso wie bei dem Champagnerblasenmobilé spielt auch bei der Pyramide die Balance und die Fragilität eine große Rolle. Beides kann in der nächsten Sekunde aus dem Gleichgewicht geraten und in sich zusammenbrechen.
An der Champagnerblase interessiert mich, dass sie eigentlich ein kleines und flüchtiges Objekt ist. Der Champagner ist etwas Glamouröses, Verschwenderisches, aber die Blase an sich, ist eigentlich… ein tragisches Objekt. Sie ist flüchtig, entsteht, steigt nach oben, wächst auf diesem kurzen Weg ein bisschen und explodiert. Man kann eine Blase nicht festhalten, sie verschwindet kurz nach ihrer Entstehung.

Hannah, Du kehrst die Merkmale der Champagnerblase ins Gegenteil. Im Grunde dehnst Du ihre Größe bis zur Absurdität aus und frierst ihre Bewegung gewissermaßen ein.
Haben die Pyramide und die Blasen also metaphorischen Charakter?

Nein, das würde ich nicht sagen. Ich fand es einfach interessant, mit der Energie zu arbeiten, die an einem besonderen Tag frei wird. Ich wollte dem Moment, der voll mit Erwartungen ist – die unter Umständen nicht erfüllt werden – eine Form geben.
In den Papierarbeiten habe ich mich der Blase von einer anderen Seite genähert, diese Arbeiten sehe ich eher als einen Querschnitt durch eine Substanz, die die Zwischenräume aufzeigt.

Welche Rolle spielt das Verhältnis zwischen Bewegung und Stillstand? Das ganze Leben der Blase wird ja quasi angehalten.

Für mich hat dieses Anhalten etwas sehr Poetisches, auch dass sie im Raum zirkulieren und nicht mehr ihrer normalen Richtung folgen, denn eigentlich steigen die Bläschen ja im Glas nach oben. Hier sind wir wieder bei der ersten Frage. Die Arbeit mit dem Modell machte es möglich, das flüchtige, winzige Champagnerbläschen riesig und beständig werden zu lassen.

Die Ausstellung hat beinah etwas von einer Versuchsanordnung, in welcher die Champagnerblase einer genauen Untersuchung unterzogen wird. Welche Rolle spielt der Raum bei der Konzeption Deiner Arbeiten?

Alle Arbeiten sind für diese Ausstellung und für diesen Raum konzipiert. Das bedeutet natürlich nicht, dass sie nicht auch in anderen Räumen funktionieren, aber die Ausstellung folgt schon einer bestimmten Dramaturgie. Der Raum wurde so inszeniert, dass man zuerst an den Papierarbeiten, der Abstraktion der Blasen vorbeigeht, dann tritt man gewissermaßen in das Champagnerblasenmilieu ein, die gewohnten Größenverhältnisse zwischen Mensch und Champagnerblase werden verschoben und zum Schluss sieht man die Pyramide „die Krönung des Ganzen“.

Das Gespräch führte Ferial Nadja Karrasch

Schwarz Contemporary

Hannah Gieseler

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