In der Ausstellung Sutura zeigt Teresa Margolles drei neue Arbeiten, die während ihres Aufenthalts beim Künstlerprogramm des DAAD in Berlin entstanden und die – einmal mehr – auf die Situation in ihrer Heimat Mexiko aufmerksam machen.
Teresa Margolles arbeitet in verschiedenen Medien, ihr Werk umfasst Fotografie, Installation, Aquarelle, Performance und Objekte. Eines haben die Ausstellungen ihrer Arbeiten jedoch gemein: Es drängt sich etwas neben die Besucherin oder den Besucher, etwas Ungebetenes. Es macht sich nicht sofort bemerkbar, taucht erst im zweiten Moment auf, füllt dann den gesamten Raum aus, beunruhigt. Auch nach Verlassen der Ausstellung lässt es sich nicht abschütteln. Es kommt in unterschiedlicher Gestalt daher, beispielsweise als Seifenblase (En el aire) oder als Nebel (Vaporización), als Gipsform (Catafalco) oder als Tuch (La Sutura). Es löst sich von diesen äußeren Formen, die trügerisch schlicht erscheinen, und macht sich im Besucherinnen-Bewusstsein breit, nistet sich dort ein — um zu bleiben.
Die Arbeiten der mexikanischen Künstlerin stellen den Tod in den Raum. Nicht den natürlichen Tod, nicht das Ende eines langen Lebens oder den Ausgang einer Krankheit; es ist der gewaltsam herbeigeführte, der unnötige, oftmals unbeachtete Tod. Er ist immanenter Bestandteil der von ihr verwendeten Materialien: Für En el aire, eine Installation, die sie 2013 am MMK Frankfurt zeigte, verwendete sie Wasser, das sie — die ausgebildete Gerichtsmedizinerin — aus einem Obduktionssaal bezog, und mit dem zuvor die Körper von Leichen gewaschen wurden. Die ebenfalls am MMK gezeigte Arbeit Catafalco besteht aus zwei Gipsabdrücken obduzierter Leichen. In Form kleiner Reste von Hautpartikeln und Haaren enthalten die Hohlformen noch Spuren des vorzeitig beendeten Lebens. Und als Margolles 2009 Mexiko auf der 53. Biennale von Venedig repräsentierte füllte sie den leeren Raum des Pavillons mit Nebel, dessen Wasser wiederum zuvor zur Waschung toter Körper diente. Die Performance Vaporización war Teil einer Serie von Aktionen, die unter dem Titel ¿De qué otra cosa podríamos hablar? (What Else Could We Talk About?) die Spirale aus Kapitalismus, Ausbeutung und Kriminalität thematisierte.
Ein Zweites, das die Werke Margolles dadurch in den Ausstellungsraum stellen, ist die Realität ihrer Heimat Mexiko, wo die Zahl der Getöteten im Jahr 2017 das Rekordhoch von 25.000 erreichte. Da Tod und Gewalt nicht als etwas Spektakuläres aus ihren Werken hervorspringen, sondern den Materialien schlicht anhaften, geben sie sich als traurige Normalität Mexikos zu erkennen.
Von dieser Normalität erzählen auch die Werke in der Ausstellung Sutura in der daadgalerie. Da sind zunächst die Stimmen in Los Otros/ The Others/ Die Anderen, einer Soundinstallation, die die Galeriewand entlangführt. 14 in Berlin lebende Mexikaner*innen und Mittelamerikaner*innen berichten hier von ihrem Leben in Berlin und in ihrer Heimat, die die meisten von ihnen verließen um der Gewalt und der Angst zu entkommen. Wer die titelgebenden Anderen sind, hängt – wie immer – von der jeweiligen Perspektive ab: Die Anderen sind die Erzählenden, deren Gewalterfahrungen sich so stark von den eigenen unterscheiden, es sind die Familienmitglieder und Freunde, die in der Heimat geblieben und weiterhin der Gewalt und Angst ausgesetzt sind, oder die Menschen in Berlin, die sich durch ihre Stadt bewegen und das Leben durch ihre eigene Biografie prägen. Das Hier (Berlin) und das Dort (Mexiko und Guatemala) werden in den Berichten gegeneinander gehalten – so wie das Tuch im Kontrast zu seiner sauberen, geordneten Umgebung steht, so bilden auch die Erzählungen vom Alltag in Mexiko und in Guatemala eine Antithese zum jenem in Berlin und zu den eigenen Erfahrungen.
Eng mit dieser Arbeit verknüpft — im wahrsten Sinne des Wortes — ist La Sutura, ein zerschlissenes Tuch, das auf einem Holzgestell ausgebreitet ist. Im unteren Bereich des Tuches haben die Erzähler*innen jeweils eine Linie eingestickt. Hier verbindet sich die Geschichte des Tuches – mit ihm wurde das Blut einer in Guadalajara auf der Straße ermordeten Frau aufgewischt – mit jenen der jungen Menschen.
Im hinteren Bereich der Galerie befindet sich die Wandinstallation La Gran América. Der Ton, aus dem die 1000 handgeformten, akkurat angeordneten Fliesen bestehen, entstammt dem Rio Bravo und wurde in der Grenzstadt Ciudad Juárez weiterverarbeitet. In Anlehnung an die in Berlin und in anderen deutschen Städten verbreiteten Stolpersteine, die an die während des Nationalsozialismus verfolgten, ermordeten, deportierten und vertriebenen Menschen erinnern, setzt die Arbeit ein Denkmal für jene, die auf der Flucht täglich den Rio Bravo überqueren und hierbei oftmals ihr Leben lassen.
Auf eindringliche Weise zeigt Margolles in dieser Ausstellung die drastische Gewaltausübung auf menschliche Körper ohne hierbei zu dem umfassenden Bilderkanon beizutragen. In diesem Sinne sind die Anderen immer auch die Getöteten, deren Tod präsent gemacht wird – in Form von Seifenblasen oder Nebel, in Gestalt eines Lakens oder umschrieben durch die Wörter.


Teresa Margolles bei Peter Kilchmann