Die 22. Ausgabe der Munitionsfabrik ist das Ergebnis einer Spurensuche in unterschiedlichste Richtungen. Anhaltspunkt der Suche war Karlsruhe – was zeichnet diese Stadt aus, was gilt es zu entdecken, was macht sie zu einer „Stadt der Langeweile“, zu einem Transit-Ort oder zu einer „zweiten Heimat“?
Die theoretischen, künstlerischen und essayistischen Beiträge aus unterschiedlichen Fachbereichen der HfG sowie aus dem Umfeld der Hochschule, wie dem Badischen Staatstheater und der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe, ergeben ein heterogenes Bild der Stadt. Sie führen den Interessierten an Orte, die ihre Besonderheit erst auf den zweiten Blick offenbaren, sie sind Dokumente von in der Stadt Erlebtem und Ausdruck von an der Stadt Vermisstem.
Mit Beiträgen von: Sebastian Baden, Jacob Birken, Shannon Connelly, Daniel Hornuff, Christina Irrgang, Ferial Nadja Karrasch, Stephan Krass, Barbara Kuon, Katharina Küster, Alina Schmuch u.a.
Mit freundlicher Unterstützung der Riemschneider Stiftung, der Werner-Stober-Stiftung Karlsruhe und des Kulturbüros der Stadt Karlsruhe
Redaktion: Hannes Gerlach, Gloria Hasnay, Ferial Nadja Karrasch, Katharina Küster, Alina Schmuch
Grafikdesign: Tanja Schütz, Masa Busic, Stefanie Miller
288 Seiten
April 2013
ISBN: 978-3-930194-16-2
Erhältlich in ausgewählten Buchhandlungen und über munitionsfabrik@hfgkarlsruhe.de
Editorial
Von Ferial Nadja Karrasch
Carl Einstein, der dem Leser bei der Lektüre dieser Ausgabe begegnen wird, sagte einst über Karlsruhe – die Stadt seiner Jugendzeit – sie sei die Stadt der Langeweile. Zwei von uns befragte Denker klagten gar über geistige Atemnot: Karlsruhe – ein leer gesaugter Gedächtnisraum, ein Vakuum, hervorgerufen durch die Verflüchtigung von Erträumtem, Erdachtem, Ausgesprochenem und Gefühltem. Diese Einschätzung der Stadt legt zwei verschiedene Schlüsse über ihre Vergangenheit und ihre Gegenwart nahe.
Erstens: In Karlsruhe herrscht eine ungünstige atmosphärische Zusammensetzung, in welcher etwaige Ereignisse und Vorgänge, die dazu imstande wären, einen fruchtbaren Handlungs- und Gedächtnisraum entstehen zu lassen, unversehens verpuffen und zwar noch ehe sich die Möglichkeit bietet, zu einem inspirierenden Aggregatzustand verdichtet zu werden. Eine Stadt wie eine Blase, die bei jedem Versuch zu atmen platzt.
Zweitens: Solche Ereignisse und Vorgänge, hervorgerufen durch mit- und aufeinander reagierende Subjekte haben durchaus stattgefunden und konnten tatsächlich – zumindest für eine gewisse Zeit – für den intellektuell Bedürftigen einen günstigen Lebensraum schaffen. Jedoch: Im Laufe der Zeit sind diese Ereignisse und ihre Manifestationen in solche Ferne gerückt, dass sie sich letztlich mitsamt aller potenziellen Spuren ins Nichts verflüchtigten.
Die Stadt als kulturelle Wüste, in der sich im günstigsten Falle gelegentlich eine Fata Morgana ereignet, ein Ort strukturloser Gestalten, kurzlebiger Wolken und unbeständiger, zum Spuren-hinterlassen unfähiger Ephemera. Und das alles vor der Kulisse einer Stadt im Zeichen der Sonne, die nicht aus sich heraus gewachsen, sondern am Reißbrett entstanden ist. Jedes Verlassen der vorgezeichneten Wege lässt ausgestoßene Fremdkörper entstehen, die unvermittelt in architektonischen Transitzonen zurückbleiben. Aus dieser Perspektive zeigt die Stadt ein einzigartiges Phänomen auf: ein Ort, der gegen den Wandel und den Abdruck der Zeit immun ist.
Wir schließen uns keiner dieser Vermutungen an, geben uns auch mit diesem möglichen Alleinstellungsmerkmal nicht zufrieden und machen uns auf die Suche nach dem Besonderen, dem Unerwarteten, dem Liebenswerten an dieser Stadt.
Wir baten unsere Kommilitonen um ein Wort, das sie mit der Stadt Karlsruhe verbinden. Eines der Wörter: Transit. Wir baten unsere Kommilitonen um einen Text, in welchem sie ihre Beziehung zu Karlsruhe darlegen. Einer der Texte: Karlsruhe als zweite Heimat.Es scheint, als läge uns – analog dem Signet dieser Stadt – eine dreigliedrige Struktur der Einstellung gegenüber Karlsruhe vor: Sie ist die Ursache geistiger Atemnot, Transit und zweite Heimat.
Mit dieser Ausgabe der Munitionsfabrik versuchen wir die Linien zwischen diesen Punkten zu zeichnen. Wie ist der Bereich zwischen und um diese Extrempunkte geartet, wie wird aus dieser Fläche ein Volumen und wie lässt sich dieses Volumen charakterisieren?
Es gibt Städte, deren kulturelles, intellektuelles Koordinatensystem besonders dicht gefasst ist, in denen sich ein zu erfahrender Fixpunkt – ein außergewöhnliches Ereignis, eine inspirierende Begegnung, eine eindrucksvolle Erfahrung – an den nächsten reiht, so dass die tägliche Bereicherung gewissermaßen im Vorbeigehen mitgenommen werden kann. Und es gibt Städte, denen scheint man die Möglichkeit zu solcherlei Ereignissen, Begegnungen und Erfahrungen im Vornherein abzusprechen. Woran dies liegt, an der Dichte des kulturellen Angebots und der Kulturschaffenden, oder an der Bedeutsamkeit der Geschichte für den Glanz der Gegenwart, dies sei dahingestellt. In solchen, zweitgenannten Städten gilt es wohl, sich auf die Suche nach dem Besonderen zu machen.
Die 22. Ausgabe der Munitionsfabrik ist das Ergebnis einer solchen Suche.