Karin Sander im neu eröffneten Haus am Waldsee

Noch sind nicht alle Arbeiten abgeschlossen. Das Haus am Waldsee befindet sich in den letzten Zügen seiner Erneuerung. Rundherum, vom Eingangstor bis zum Schriftzug, vom Keller bis unter das Dach wurde die 1922 erbaute Villa während der letzten eineinhalb Jahre renoviert. Ein im 2. Weltkrieg zerstörter Seitenflügel wurde wiedererrichtet und dient als Café und Veranstaltungsraum, es wird eine Bibliothek geben, eine Gastwohnung, einen Außenfahrtstuhl, einen großzügigen Raum für Arbeitsgruppen und Yogastunden.

Karin Sanders (*1957) Arbeiten der Ausstellung A bis Z lassen sich von dieser noch nicht abgeschlossenen Umbruchsituation nicht stören – vielmehr: sie wirken wie ein Bindeglied zwischen Alt und Neu, wie eine Metapher für den Wandlungsprozess. Die in Berlin und Zürich lebende Künstlerin installierte an der Außenfassade des Anwesens 59 Gebrauchsbilder, die sich selbst noch im Werden befinden:: Die weiß grundierten, unterschiedlich großen Leinwände sind für die Dauer der Ausstellung den Witterungen ausgesetzt. Sie wirken wie „ausradierte Flächen“, so die Künstlerin, auf denen Neues entstehen kann. Die Zeit wird sich hier, nun ja, mit der Zeit einschreiben und Landschaftsgemälde der besonderen Art hinterlassen, die mit dem Ort ihrer Entstehung eng verbunden sind und ganz nebenbei, nonchalant, Fragen nach Autorschaft aufwerfen. Die Fassade wird zu einer Ausstellungsfläche für sich permanent und unvorhersehbar verändernde Werke.

Die eigentlichen (bereits fertiggestellten) Ausstellungsräume sind auf den ersten Blick leer. Nur ein aus Google-Maps-Daten generiertes 3D-Modell des Hauses und seiner Umgebung wird auf einem Sockel gezeigt. Stellenweise sind die außen angebrachten Gebrauchsbilder durch die Fenster sichtbar. Die Titel und Maße der Bilder befinden sich an den sonst kahlen Wänden: Musikzimmer/Music Room, 2019, B, 70x100cm; Herrenzimmer/Men´s Salon, B, 2019, 100x100cm; Damenzimmer/Boudoir, C, 2019, 50x40cm. Die überall, auch am Eingang (Windfang, Eingang/Vestibul, Entrance, B, 2019, 80x60cm) und auf dem Speicher (Speicher/Attic, 2019, 100x70cm), verteilten Bildtitel beziehen sich auf die Vergangenheit der Villa als privates Wohnhaus. Auf subtile Weise greift die Künstlerin in die Wahrnehmung der Räume ein und setzt eine Narration in Gang, die vor dem inneren Auge der Rezipientin abgespielt wird. Auch ohne die wechselvolle Geschichte des Gebäudes zu kennen, entstehen gedankliche Bilder vom Leben und Alltag in diesen Zimmern, die Leere füllt sich mit Assoziationen und eigenen Vorstellungen. Eine Ausstellung über das Gestern und Heute eines Ortes, die in den Köpfen der Besucher*innen stattfindet.

Im ersten Raum (Halle/Hall, 2019, 100x100cm) präsentiert Karin Sander auf zwei Pulten ihr Künstlerbuch A–Z. Die in alphabetischer Ordnung aneinandergereihten Arbeiten ergeben einen retrospektiven Blick auf das nun mehr als 30 Jahre dauernde Schaffen der Künstlerin und lassen zahlreiche Bezüge zu der vor Ort installierten Ausstellung entstehen. Eine Ausstellung über das Gestern und Heute eines künstlerischen Werkes, die in einem Buch stattfindet. Die Künstlerin, die dazu eingeladen wurde, die Neueröffnung des Hauses am Waldsee mit einer Retrospektive ihres Werkes einzuleiten, nimmt sich mit einer für sie typischen Geste der Reduktion zurück und lässt dem Ort selbst den Vorrang.

Die Publikation endet mit einem Gespräch zwischen der Künstlerin und dem Soziologen Harald Welzer, in welchem sie auf die Frage, was eine Arbeit von ihr erfüllen müsse, antwortet: „(…) sie macht etwas sichtbar, was schon da ist, sich aber in einem Zustand befindet, der nicht wahrgenommen wird, in einem Zustand der Latenz.“

Karin Sanders Ausstellung A bis Z im und am (und mit dem und über das) Haus am Waldsee verbindet so nicht nur das Gestern, Heute und Morgen des Ortes, sondern bringt auch ihr eigenes künstlerisches Schaffen auf den Punkt.

Hier geht es zum Text auf art in berlin .

Haus am WaldseeKarin Sander

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