Die Ausstellung „Garten der irdischen Freuden“ am Gropius-Bau nimmt die Komplexität und Widersprüchlichkeit unserer Zeit unter die Lupe.
Draußen, vor den Museumstüren, bemisst sich die Zeit an diesem Donnerstagvormittag eher in den Abständen zwischen den kühlenden Schattenplätzen denn in Minuten und Stunden. Touristen bewegen sich durch die Straßen, indem sie von einem Schatten zum nächsten trotten, das sonnengeflutete Gelände des Erinnerungsortes Topographie des Terrors ist ungewöhnlich leer und vor dem Abgeordnetenhaus gegenüber des Gropius-Baus hat die wachhabende Polizistin ihren Posten im Sonnenschutz des Denkmals bezogen.
Drinnen, hinter den Drehtüren des Gropius-Baus, wecken verträglichere Temperaturen überhitzte Lebensgeister wieder zum Leben, wird das Denken aus dem Stand by-Modus geholt. Und das ist gut so, denn die neu eröffnete Ausstellung ist kein Ort, an dem man sich passiv berieseln lassen könnte. Entgegen den durch den Titel „Garten der irdischen Freuden“ hervorgerufenen Assoziationen erwartet die Besucherin hier nichts, nein, das wäre auch nicht treffend, sagen wir: nicht nur Erquickliches. Ausgehend von dem Motiv des Gartens wirft die Schau einen Blick auf den Zustand der Welt und dieser präsentiert sich derzeit eben nicht gerade als ein Status quo der Wonnen und Freuden.

Öl auf Holz, auf Leinwand übertragen, 182 x 168 cm, Privatsammlung
Inspiriert von Hieronymus Boschs Triptychon „Garten der Lüste“ – gezeigt wird eine in der Nachfolge Boschs entstandene Version des Gemäldes – führt die von Stephanie Rosenthal und Clara Meister kuratierte Ausstellung das Paradiesische und Katastrophische zusammen. In den Arbeiten der 22 internationalen Künstlerinnen und Künstler wird der Garten nicht nur zur Quelle irdischer Freuden, wie beispielsweise in Pipilotti Rists „Homo sapiens sapiens“ (2005) oder der friedlichen, psychedelisch angehauchten Selbstauflösung wie in Yayoi Kusamas „With All My Love for the Tulips, I Pray Forever“ (2013–2019), sondern auch zum Ausgangspunkt des irdischen Chaos und der irdischen Ausgrenzung.

Fiberglas, verstärkter Kunststoff, Urethanfarbe und Aufkleber, Maße variabel, Installationsansicht Shanghai MoCA, 2013–2014
Yayoi Kusama, Courtesy: Ota Fine Arts, Tokyo / Singapore / Shanghai
Dass das Paradies die Ab- und damit auch oft die Ausgrenzung schon im etymologischen Sinne beinhaltet, wird gleich zu Beginn klargemacht: Im ersten Raum liegt ein riesiger persischer Teppich aus dem späten 18. Jahrhundert, dessen Muster einen paradiesischen Garten wiedergibt. Das Konzept des Gartens, so erfährt man hier, ist zurückzuführen auf den altpersischen Begriff pairidaeza, wobei sich pairi mit um und daeza mit Wand übersetzen lassen. Der Garten wird somit als ein abgegrenzter Raum definiert, der sowohl den Aspekt des Schutzes als auch die Möglichkeit zur Ausgrenzung und Abschottung beinhaltet.
Letztgenannte Funktionen des Gartens thematisiert die südafrikanische Künstlerin Lungiswa Gqunta in ihrer Arbeit „Lawn I“ (2019). Die Installation besteht aus zerbrochenen, scharfkantigen Glasflaschen, die zu einer bedrohlichen „Grünfläche“ angeordnet sind. Sie sind eine Referenz an die Gewohnheit weißer südafrikanischer Gartenbesitzer, ihre Zäune mit ebensolchen Flaschen zu versehen um Fremde davon abzuhalten, die Flächen zu betreten. Diese Maßnahmen richten sich vornehmlich gegen Mitglieder der Schwarzen Communitys, die zu diesen abgegrenzten Räumen lediglich Zutritt erhalten, um hier zu arbeiten. So wird der Garten zu einem Zeichen der Unterdrückung der schwarzen Südafrikaner*innen, des Ausschlusses und der Unterscheidung zwischen Arm und Reich.
Ein paar Räume weiter ordnete die australische Künstlerin Libby Harward in der Installation „Ngali Ngariba“ (We Talk) (2019) Pflanzen unter gläsernen Terrarien an. Sie sind dem Botanischen Garten Berlin entliehen, wohin sie als Mitbringsel europäischer Erkundungsreisen in die „Neue Welt“ gebracht wurden und nun in Beeten wachsen, die „als Kataloge der beherrschten Länder und Flora“ fungieren. Während diese Pflanzen, die auf Instagram und Pinterest auf keinem Wohnungs-Bild fehlen dürfen, längst zum festen Bestandteil jeden modebewussten Haushalts geworden sind, fragen sie sich in Harwards Installation in den jeweiligen Sprachen der Gebiete aus denen sie ursprünglich kommen: „Warum bin ich hier?“. Die Arbeit erzählt nicht nur von Kolonialisierung und Entfremdung, sie verweist auch auf die indigenen Kulturen, denen der Besitz von Land und Lebewesen fremd ist. „In unserer Kultur gehören wir alle zu dem Land, in dem alle Dinge miteinander verbunden sind (…). Wir hören den Pflanzen zu und sie hören uns zu,“ schreibt Harward. Was würden unsere Bäume und Blumen erzählen, wenn wir ihnen zuhörten, was würden uns die Wälder zuraunen, die derzeit einer neuen Hitzewelle ausgesetzt sind, ohne über die notwendigen Wasserreserven zu verfügen?

Videostill, 4K, Farbe, Ton, 20 min
Zheng Bo
Um eine neue Qualität der Begegnung mit Pflanzen geht es auch in Zheng Bos „Pteridophilia 1-4“ (2016-2019). In einem Taiwanischen Wald treten die männlichen Protagonisten der Videos in intimen Kontakt mit den in der traditionellen taiwanischen Kultur geschätzten Farnen. Sie werden zu einem gleichberechtigten Gegenüber, zu einem empfindsamen Teil eines Liebesspiels, werden liebkost und geküsst. „Pteridophilia 1-4“ ist ein sinnliches Manifest für die Ablösung von der anthropozentrischen Weltanschauung, für ein Mehr an Respekt, Fürsorge und Bescheidenheit.
In direkter Nachbarschaft zu dieser Arbeit, verdeutlicht Hicham Berradas „Mesk-Ellil“ (2015) eben jene anthropozentrische Haltung des Menschen, der in die Natur eingreift, um sie sich so zu gestalten, wie er sie haben möchte. In mehreren Terrarien wachsen Nachtjasmin-Pflanzen, die ihren intensiven Geruch nur bei Nacht abgeben. Um den Besucherinnen und Besuchern dieses olfaktorische Erlebnis zu ermöglichen, wird durch Raumverdunklung der Rhythmus der Pflanzen den Öffnungszeiten des Museums angepasst. Ihren Lockstoff verströmen die Pflanzen hierbei natürlich vergeblich, weil ausschließlich zum Genuss der Museumsbesucher*innen.
Der Anthropozentrismus ist in Heather Phillipsons Installation längst passé. In „Mesocosmic Indoor Overture” (2019) entwirft sie ein Post-Klimawandel-Szenario: Ein Garten, in dem der Mensch seine Vormachtstellung eingebüßt hat und zum Teil des Kreislaufs aus Leben, Sterben und Verwertung geworden ist.
Der Ausstellung geht es um Gegensätze, um „Utopie und Dystopie, Harmonie und Chaos, Eros und Perversion, Natürlichkeit und Künstlichkeit“, so heißt es im Ausstellungstext, und diese Gegensätzlichkeit, diese Wechsel zwischen Verschiedenem werden auch in der Ausstellungsdramaturgie spürbar. Sie ändert ihren Rhythmus von Raum zu Raum, ist hier laut und dort leise, sie spricht in einem Raum mehrere Sinne gleichzeitig an, um die Konzentration im nächsten Raum wieder auf einen Sinn zu lenken. Und sie hinterlässt Spuren. Die Arbeiten wirken nach, noch lange nachdem die Besucherin den Gropius-Bau durch die Drehtür verlassen hat und sich von Schatten zu Schatten durch die viel zu heißen Straßen kämpft.
Hier geht es zum Text auf art in Berlin
Abbildung: Libby Harward, Ngali Ngariba (We Talk), 2019, Installationsansicht